Zur Haftungsverteilung bei einem Skiunfall

OLG Koblenz, Beschluss vom 02.03.2011 – 5 U 1273/10

1. Ungeachtet dessen, dass die Haftung beim Zusammenstoß deutscher Skifahrer in Österreich sich nach deutschem Recht richtet, sind Haftungsmaßstab die FIS-Regeln am Unfallort (Rn.4).

2. Zur Frage, welche FIS-Regeln zwischen einem vorausfahrend kreuzenden und einem von hinten herannahenden Skifahrer gelten (Rn.11).

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

In dem Rechtsstreit … weist der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Koblenz den Beklagten darauf hin, dass beabsichtigt ist, seine Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen ( § 522 Abs. 2 ZPO ).


Gründe

1

Die Berufung ist ohne Aussicht auf Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Landgericht die Klage dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Was die Berufung dagegen vorbringt, überzeugt nicht. Der Senat beabsichtigt nicht, die Beweisaufnahme zu wiederholen oder zu ergänzen.

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1. Das Landgericht ist ohne Begründung davon ausgegangen, dass deutsches Recht anzuwenden ist, obwohl der Unfall sich in Österreich ereignete. Dieser rechtliche Ausgangspunkt wird von der Berufung hingenommen und ist auch nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden. Nach Art. 40 Abs. 2 Satz 1 EGBGB ist deutsches Recht anzuwenden, weil beide Parteien ihren Wohnsitz in Deutschland haben.

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2. Zu Recht hat das Landgericht eine Haftung des Beklagten aus § 823 Abs. 1 BGB bejaht. Denn er hat den Skiunfall, der sich am 17. Januar 2009 gegen 14.50 Uhr in …[Z]/Österreich ereignete und bei dem der Kläger eine schwere Verletzung des rechten Unterschenkels erlitt, fahrlässig verursacht. Der Beklagte hat beiden Klägern daher den gesamten Schaden, dessen genauen Umfang das Landgericht noch aufklären muss, zu ersetzen.

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3. Ungeachtet der Geltung deutschen Schadensersatzrechts sind die Verhaltensvorschriften am Unfallort für die Haftung maßgeblich ( vgl. BGH NJW – RR 1996, 732; Palandt/Thorn, BGB, 70. Aufl., Art. 40 EGBGB, Rn. 4 m. w. N. ). Demzufolge richten sich die Verhaltens- und Sorgfaltspflichten hier nach den FIS – Regeln. Diese Regeln stellen nämlich in den Alpenländern, insbesondere in Österreich geltendes Gewohnheitsrecht dar (vgl. OLG Brandenburg in NJW-RR 2006, 1558, 1559; OLG Hamm in NJW-RR 2001, 1537 und OLG Düsseldorf in VersR 1997, 193, 194). Mithin hat das Landgericht die Verantwortlichkeit des Klägers und des Beklagten zu Recht daran gemessen.

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4. Der Berufung kann nicht darin gefolgt werden, das Landgericht habe die Beweislast verkannt und zu geringe Anforderungen an das Beweismaß gestellt. Richterliche Überzeugung erfordert keine mathematische Gewissheit. Ausreichend ist eine Tatsachengrundlage, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet. Das ist hier der Fall.

6

Das Landgericht hat den unmittelbar nach dem Unfall abgegebenen Erklärungen des Beklagten gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten stärkeres Gewicht beigemessen als dem späteren Prozessvortrag. Das ist nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden. Richtig ist allerdings, dass sich in den Ermittlungsakten keine vom Beklagten unterschriftlich autorisierte Erklärung findet, dass er aus dem Tiefschnee neben der Piste kommend in den Pistenbereich eingefahren ist. Damit lässt sich der Inhalt der Ermittlungsakten jedoch nicht falsifizieren. Dass Polizeibeamte inhaltlich unrichtige Aktenvermerke erstellen, liegt fern. Deren aktenkundige Notiz, der Beklagte sei aus dem Tiefschnee kommend auf die Piste gefahren, beruht nicht auf Angaben des Klägers, die sicherlich einer zurückhaltenden Würdigung bedürften. Der schwerverletzte Kläger war mit dem Rettungshubschrauber nach …[Y] geflogen worden und erklärte bei seiner telefonischen Befragung am 18. Januar 2009, er habe den Beklagten „vorher nicht kommen gesehen“. Mithin kann das aktenkundige Eingeständnis einer Tiefschneefahrt nur vom Beklagten selbst stammen. Dessen Erklärung bei der Parteianhörung durch das Landgericht lautete zunächst dahin, es könne „möglich sein“, dass er im Tiefschnee gefahren sei. Nachfolgend gibt das Protokoll die Bekundung des Beklagten wieder, wenn er es sich „recht überlege“, sei er nicht im Tiefschnee gefahren.

7

Dieses diffuse Aussageverhalten hat das Landgericht vor dem Hintergrund des zeitnah erstellten und in eine andere Richtung deutenden Ermittlungsberichts überzeugend gewürdigt.

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Dass die Berufung das anders sieht, ist nachvollziehbar. Eine Beweiswürdigung zugunsten des Beklagten lässt sich indes nicht auf die Aussage des Zeugen …[A] stützen.

9

Damit ist nicht gesagt, der Zeuge …[A] habe bewusst etwas Falsches bekundet. Davon ist auch das Landgericht nicht ausgegangen, sondern hat die Aussage lediglich als in objektiver Hinsicht nicht hinreichend verlässlich angesehen.

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Das ist nach Auffassung des Senats nicht zu beanstanden. Die gerichtliche Praxis lehrt, dass Unfallzeugen gelegentlich dazu neigen, aus den von ihnen wahrgenommenen Unfallfolgen Rückschlüsse auf das unmittelbare Unfallgeschehen zu ziehen, obwohl sie es gar nicht beobachtet haben. Die Aussage …[A] ist gesichert falsch, soweit er ursprünglich behauptet hat, der Beklagte sei in der Pistenmitte gefahren. Dementsprechend hat der Zeuge das auch selbst relativiert durch die Erklärung, er „meine“ der Beklagte sei dort gefahren. Letztlich hat er auf Vorhalt eingeräumt, den Zusammenstoß der beiden Skifahrer überhaupt nicht gesehen zu haben. Der dazu gegen Ende der Vernehmung unternommene Erklärungs- und Deutungsversuch des Zeugen (mehrfaches Hin- und Herblicken) erscheint auch dem Senat wenig plausibel. Zu Recht ist das Landgericht daher der Aussage …[A] nicht gefolgt.

11

5. Auf der Grundlage des vom Landgericht gefundenen Beweisergebnisses hatte der Beklagte vor dem Zusammenstoß die FIS – Regel Nr. 3 einzuhalten, da er sich räumlich hinter und oberhalb des Klägers befand. Der von hinten kommende Skifahrer muss seine Fahrspur so wählen, dass er vor ihm fahrende Skifahrer nicht gefährdet. Nach der FIS – Regel Nr. 3 genießt der vorausfahrende Skifahrer uneingeschränkten Vorrang. Der hinterherfahrende Skifahrer muss hingegen genügend Abstand einhalten, um dem Vorausfahrenden für alle seine Bewegungen genügend Raum zu lassen. Der von oben kommende Skifahrer hat demnach in vorausschauender Weise mit allen Bewegungen des unten Fahrenden zu rechnen, und zwar auch mit weiten Schwüngen, Schrägfahrten und Bögen mit großen Radien sowie jederzeitigen Richtungswechseln. Der Hinterherfahrende hat sein Verhalten darauf einzustellen und darf nicht darauf vertrauen, der vorausfahrende Skifahrer werde seine kontrollierte Fahrweise in einem bestimmten Pistenbereich beibehalten.

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Demgegenüber muss sich der vorausfahrende Skifahrer nicht nach der FIS – Regel Nr. 2 hangwärts nach oben und schon gar nicht nach hinten orientieren, da er dann seinerseits der auch ihm selbst nach der FIS – Regel Nr. 3 obliegenden Pflicht der Rücksichtnahme auf vorausfahrende Skifahrer nicht nachkommen könnte. Ihn trifft nach der FIS – Regel Nr. 2 grundsätzlich nur die Pflicht zur Beachtung der in seinem Gesichtsfeld liegenden Vorgänge.

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Zu Recht hat das Landgericht sich daher außerstande gesehen, ein Mitverschulden (§ 254 BGB) des Klägers festzustellen. Er hat auch nicht gegen die FIS – Regel 5 verstoßen, indem er abwärts fahrend die Piste teilweise gequert hat. Eine solche Fahrweise lag im Gegenteil aus der maßgeblichen Sicht des Beklagten nahe, weil alles dafür sprach, dass die Talstation das Fahrtziel des Klägers war. FIS – Regel Nr. 5 gilt nach ihrer gezielt in diese Richtung vorgenommenen Änderung im Jahr 1990 nicht mehr für den Querenden. Durch die Änderung ist vielmehr klargestellt, dass nur noch zwischen stehenden und fahrenden Pistenbenutzern unterschieden werden muss. Bei Fahrenden sind Tempo, Neigungswinkel und mehr oder weniger vollständiges Ausnutzen der Pistenbreite (Schrägfahrten) keine diskutablen Unterscheidungs- und Zuordnungsmerkmale. Wer sich unter Ausnutzung von Hangneigung und Schwerkraft bewegt, der fährt, und unterliegt daher nicht mehr der FIS – Regel 5, sondern genießt gegenüber von hinten oder oben kommenden Skifahrern wieder den uneingeschränkten Vorrang gemäß FIS – Regel 3 (vgl. OLG Hamm in NJW – RR 2001, 1537).

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5. Die Rechtssache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Ebenso wenig erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Die Berufung sollte kostensparend zurückgenommen werden.

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